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Der Agrar-Putsch
von Gerhard Dilger
30.07.12     A+ | a-
Gerhard Dilger, in Brasilien ansässiger Korrespondent der Tageszeitung (taz) aus Berlin, hat von nahezu allen Schauplätzen Südamerikas berichtet. Was uns als PPI besonders freute, war sein Interesse an Paraguay, was nicht sehr verbreitet ist.
Wir lernten Gerd 2008 kennen, als er die Wahl Fernando Lugos zum Präsidenten dokumentierte, und wir blieben bis heute in freundschaftlicher Verbindung.
Zuletzt konnte Gerd eine ganze Seite mit Berichten zum aktuellen Geschehen in Paraguay in der taz platzieren.                    
Nachfolgend sein mit seinen und unseren Fotos ergänzter Text.                
Der ganzseitige Bericht in der taz  ist hier herunterladen >>>
Hermann Schmitz

Der Agrar-Putsch
VON GERHARD DILGER
Vor einem guten Monat wurde Paraguays linker Präsident Fernando Lugo abgesetzt. Der rechtsliberale Nachfolger Federico Franco will bis zu den Wahlen im April 2013 durchregieren – für Großgrundbesitzer, Agrar- und Bergbaukonzerne.Berlin steht auf der Seite der Großgrundbesitzer                       
Der Putsch hat Walter Lezcano arbeitslos gemacht. Vor einer Woche verlor der linke Agraringenieur seinen Posten als Inspektor der paraguayischen Behörde für Pflanzenqualitätskontrolle  und Saatgutschutz (Senave). Unter Präsident Fernando Lugo hatte er versucht, auf dem Land für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, etwa bei der Besprühung von Gensojaplantagen mit dem Monsanto-Herbizid Roundup. In der südöstlichen Provinz Itapúa leitete er ein Team von acht Inspektoren. Er ließ illegale Genmaisfelder zerstören und beschlagnahmte das geschmuggelte Saatgut. Als Mitglied der kleinen Linkspartei „Bewegung zum Sozialismus“ setzte er sich für die Rechte der Landlosen ein.
Doch dann wurde Lugo am 22. Juni in einem kalten Putsch von der konservativen Senatsmehrheit abgesetzt. Vorwand war eine Schießerei bei einer Räumung von Landlosen in der nordöstlichen Gemeinde Curuguaty, bei der elf Kleinbauern und sechs Polizisten starben.   

Paraguays Politmafia schlägt zurück
Zwei Monate lang hatten 60 Landlose die weitläufige Farm des Unternehmers und Politikers Blas Riquelme besetzt gehalten. Es war ein kleiner Teil jener 50.000 Hektar, die ihm sein Parteifreund, der Diktator Alfredo Stroessner, in den Siebzigerjahren zugeschanzt hatte.
Für das Blutbad machten die Parlamentarier Lugo verantwortlich, ausgerechnet jenen fortschrittlichen Exbischof, der 2008 auch wegen des großen Rückhalts auf dem Lande gewählt worden war und damit die 61-jährige Herrschaft von Riquelmes und Stroessners Colorado-Partei beendet hatte. Wahrscheinlich gehen die sechs Toten Soldaten auf das Konto von Scharfschützen, doch die genauen Umstände bleiben ebenso wie die Hintermänner bislang im Dunkeln.
„Es war eine vorbereitete Aktion“, sagte Senator Sixto Pereira, ein Vertrauter Lugos, der taz, „vielleicht stecken die örtlichen Großgrundbesitzer dahinter, oder Drogenhändler“. Es erinnert an die Diagnose des uruguayischen Präsidenten José Mujica, der den „Narcocoloradismo“ für den Putsch verantwortlich machte – gelingen konnte er jedoch nur, weil die zuvor mit Lugo verbündeten Liberalen die Seiten wechselten.
Bis heute blockiert die Regierung von Lugos rechtsliberalem Ex-Vize und Nachfolger Federico Franco eine unabhängige Untersuchung des Massakers. Vor Tagen wartete der von sämtlichen Regeirungen Südamerikas geächtete De-facto-Staatschef mit einer abenteuerlichen Theorie auf: Er schrieb das Massaker der Phantom-Guerilla „Paraguayisches Volksheer“ zu, die er als „ausführenden Arm“ der kolumbianischen FARC bezeichnete.

Die Gentech-Offensive
So nebulös die Hintergründe des Massakers und so abenteuerlich die Begründung des unblutigen Parlamentsputsches ist, so wenig Zweifel bestehen über den neuen Regierungskurs. Francos Getreue entfernten über 2.000 Lugo-Sympathisanten aus dem Staatsdienst. Allein in der Pflanzenschutzbehörde Senave wurden in den letzten Wochen 170 Funktionäre entlassen, über zwei Drittel der Belegschaft. „Zuvor hatte man uns bereits unsere zwei Pick-Ups und das Motorrad abgenommen,  damit  waren wir praktisch handlungsunfähig“, berichtet Lezcano.

Als neuen Chef der Behörde setzte Franco Tage nach dem Putsch Jaime Ayala ein, zuvor Direktor und bis heute Aktionär der Firma Pacific Agroscience, die Pestizide verkauft. Als erste Maßnahme gab Ayala grünes Licht für die Monsanto-Gentech-Baumwolle vom Typ MON531-Bollgard, gegen deren Zulassung sich sein Vorgänger erfolgreich gewehrt hatte. Das brachte dem Lugo-Mann eine monatelange Medienkampagne unter Führung der größten Tageszeitung ABC Color ein. Die wiederum gehört der Zuccolillo-Gruppe, einem Partner des US-Agrarmultis Cargill.
„Das neue Saatgut richtet sich gegen uns Kleinbauern”, meint Jorge Galeano von der Volksagrarbewegung MAP. „Es wird zusammen mit speziellen Herbiziden verkauft, das widerspricht unserem Konzept der Agrarsouveränität“. Außerdem sei dieser Ansatz nur für große, mechanisierte Plantagen geeignet.  „Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung werden zunehmen“, sagt er voraus. Da die Genbaumwolle nicht von Menschen verzehrt werde, gäbe es keine Gesundheitsrisiken, erklärte hingegen Senave-Chef Ayala.
Unter der Putschistenregierung hat die Agrarlobby also freie Bahn. Unter Fernando Lugo hatten die großen Landbesitzer, darunter Zehntausende „Brasiguayos“, schon lange in Paraguay ansässige brasilianischen Sojafarmers eine Agrarreform blockiert  - zusammen mit ihren Verbündeten in Parlament, Justiz und Medien. Doch immerhin wollte der linke Staatschef die Steuern auf Sojaexporte von 3 auf 12 Prozent erhöhen – die Exporte machen ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts aus. Davon ist nun keine Rede mehr.

Landgrabbing in Paraguay
Das 6,5-Millionen-Land Paraguay ist der weltweit viertgrößte Sojaproduzent. Unaufhaltsam rückt die Sojafront vor.
Die riesigen Felder mit den proteinhaltigen Bohnen machen bereits drei Viertel der gesamten Nutzfläche aus.
Nicht nur brasilianische Farmer profitieren davon, sondern auch Monsanto, Cargill, Syngenta, ADM oder Bunge sowie Spekulanten und Investoren aus Übersee. So ist DWS, ein Agrarfonds der deutschen Bank, am argentinischen Konzern Cresud beteiligt. Cresud wiederum besitzt Zehntausende ha Land in Paraguay, ebenso in Brasilien und Bolivien.  Selbst für lateinamerikanische Verhältnisse ist die Landverteilung in Paraguay obszön: 2,5 Prozent der Landbesitzer kontrollieren 85 Prozent des Grund und Bodens, noch immer harren an die 90.000 Landlosenfamilien in Hunderten von Camps an Straßenrändern aus.
So auch an der nördlichen Grenze von Itapúa. Beiderseits einer gut geteerten Schnellstraße erstrecken sich Dutzende Bretterbuden, einige sind mit einer rot-weiß-blauen Nationalfahne geschmückt. Dahinter ein Schulgebäude mit drei engen Klassenzimmern und ein Fußballfeld. Etliche der 130 Familien an diesem Straßenabschnitt leben seit 13 Jahren hier. Direkt an die Hütten grenzt das 2.500 Hektar große Anwesen eines "Brasiguayos".
"Er hat sich seine Landtitel betrügerisch erschlichen", sagt Aurelio Bustamante, der Sprecher der Siedlung. Über den Titel wird seit Jahren in der Justiz gestritten, ähnlich wie der Colorado-Politiker Riquelme soll ihn der Sojafarmer noch während der Stroessner-Diktatur (1954-89) von korrupten Beamten erhalten haben.

Exportiert wird das Futtermittel Soja zu zwei Dritteln nach Europa, aber auch Agrodiesel auf Sojabasis wird immer populärer. Doch nicht nur auf die Artenvielfalt, sondern auch auf die Gesundheit der Landbevölkerung wirken sich die riesigen Gensoja-Monokulturen fatal aus. Wegen der wachsenden Resistenz von Unkraut gegen Roundup oder seine chinesischen Billigimitate wird immer mehr versprüht, schätzungsweise 20 Millionen Liter pro Jahr.
Kleinbauern, Tiere, Obst- und Gemüseäcker werden durch die Schwaden oder Rückstände in Bächen vergiftet. Juana Cuba aus der Landlosensiedlung hat eine Totgeburt hinter sich. "Das kann an den Besprühungen liegen", vermutet die 31-Jährige.
In den letzten 30 Jahren vertrieben Soldaten und Paramilitärs fast 100.000 Kleinbauern und Indigene von ihrem Land, über 100 ihrer Sprecher wurden ermordet. Während dafür gerade ein Täter hinter Gittern landete, wurden über 2000 Bauern wegen Widerstandes gegen die Sojaindustrie angeklagt.

Die Deutschland-Connection
Als erster ausländischer Staatsgast hatte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel am Tag nach Lugos Absetzung Nachfolger Franco die Aufwartung gemacht. Senator Sixto Pereira wundert sich noch heute über diese demonstrative Unterstützung der Putschisten. „Damit stehen die Deutschen in einer Reihe mit den USA, Kanada, dem Vatikan und Taiwan“, sagt Pereira.  „Für Washington ist der Putsch im überwiegen links regierten Südamerika ein geostrategischer Glücksfall, Hillary Clinton hat ihn schon gebilligt“.
Dem kanadischen Bergbaumulti Rio Tinto Alcan hat Franco bereits die Genehmigung eines riesigen Aluminiumwerks in Aussicht gestellt, und für den Vatikan war der ehedem „rote Bischof“ Lugo schon immer ein Ärgernis. Aber Berlin?
„In Paraguay hat die Bundesregierung hat immer für deutsche Großgrundbesitzer Partei ergriffen“, sagt Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation Fian. Ein Paradebeispiel sei der Fall des Investors Heribert Rödel, der in den Achtzigerjahren über Tausend Kleinanleger mit Landkäufen in Paraguay köderte, dafür verurteilt wurde und nach seiner Flucht nach Paraguay Indígena-Gemeinschaften in der Chaco-Steppe vertreiben ließ. Die allerdings wehrten sich juristisch.
Ende letzten Jahres wollte Paraguay endlich einem Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs von 2006 folgen und dem deutschen Großgrundbesitzer jene14.000 Hektar Land abkaufen, die den Hundert am Straßenrand campierenden Indigena-Familien zustehen. Doch dann machte Rödel, der gerne auf ein  deutsch-paraguayisches Investitionsschutzabkommen verweist, unter Verweis auf seine „Aktionäre“ in Deutschland und in der Schweiz einen Rückzieher.                 
 „In Berlin sagt man uns immer, man wolle sich informell für die Ureinwohner einsetzen“, berichtet Herre und fragt: „Sind die Interessen deutscher Großgrundbesitzer wirklich wichtiger als die Menschenrechte?“ Es sieht ganz danach aus. Bereits vor dem Putsch gegen Lugo warnte das Auswärtige Amt auf seinem Webportal: „Gelegentlich kommt es zu Besetzungen auch deutschen Grundbesitzes durch landlose Bauern sowie zu illegalen Aneignungen durch Nachbarn“. Unter den neuen Machthabern dürften Rödel & Co. noch weniger zu befürchten haben.
Nächstes Ziel: Die Wahlen 2013
Wie Fernando Lugo und Sixto Pereira bereitet sich auch der geschasste Saatgutinspektor Walter Lezcano auf die Wahlen im April 2013 vor – er möchte für das Linksbündnis Frente Guazú in das Abgeordnetenhaus einziehen.  „Unsere Strategie des friedlichen Widerstands könnte aufgehen“, meint er optimistisch, nach 20 Jahren Demokratie sei die Bevölkerung misstrauischer denn je gegen die Politikerkaste.
Lugo, der in seiner neuen Rolle geradezu aufblüht, zieht unterdessen durch das ganze Land und wettert gegen die Putschisten: „Sie haben der Demokratie einen Dolchstoß versetzt, aber bei den Wahlen werden wir ihnen eine Lektion erteilen“.

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